Hannover Marathon aus der Sicht eines Pacemakers
- Jan Kaschura
- 28. März 2023
- 6 Min. Lesezeit
Ich habe dies im Vorfeld gar nicht so krass erwartet, aber es ist tatsächlich komplett ein anderes Laufen, wenn man für andere und nicht nur für sich selbst verantwortlich ist. Selbst einen einzelnen zu pacen oder eine Gruppe von über 20 Läufern*innen, ist für mich nochmals eine andere Situation. Jetzt aber genug von meiner eigenen Gefühlswelt und hin zum Rennbericht.

Vor dem Start musste ich kurz in den Block vor mir und ein paar Läufer im Block A zu begrüßen u.A. Danny Seidler und Stephan Weißner, bevor ich mich zu meinen Pacerkollegen Sebastian Apfelbacher und Mirco Hohmann einreihte. Meine beiden Kollegen hatten jeweils ein Ballon mit der Zielzeit und ich die Fahne, die ich mit einem Rucksack herumtrug. Hier stand auch Jörn Hesse der sein 200 Marathon absolvierte. Jedes Pacerteam bestand aus drei Läufern, was ich persönlicher sehr befürworten, aber würde die Einteilung der Pacer nachdem Lauf doch neu vornehmen. Nicht in der Besetzung, sondern in der Aufteilung, dazu aber später mehr.
2 Minuten bevor es losging sprachen mich noch ein paar Läufer an, wie schnell wir angehen. Meine Antwort so zwischen 1:29-1:29:30std. nicht schneller. Die meisten waren damit einverstanden. 3,2,1 go! Das Feld setze sich unter dem lauten Applaus der Zuschauer.
Die ersten Kilometer liefen wir in 4:11/4:11/4:14 viel zu schnell für eine erwartet Durchschnittspace von 4:16. Diese paar Sekunden können ein Läufer*innen, mit einem Leistungsniveau von knapp an der 3 Stundenmarke liegen, schon das Genick brechen. Ich unterhielt mich mit meinem Pacerkollegen Mirco und wollte das Tempo reduziert 4:09/ 4:12 / 4:10, trotz des bremsen ging das Tempo nicht runter. Ich hatte immer das Gefühl die Gruppe drückte etwas von hinten. Heute glaube ich, es lag am Rückenwind. Ab jetzt liefen wir aber in die andere Richtung und hatten Gegenwind und ich hoffte auf etwas Entspannung der Zeiten. Dann passierte etwas, worauf ich vorher nie vorbereitet war.
Mir flog die Fahne weg. Ich bemerkte es erst gar nicht. Nur hatte ich das Gefühl, dass das Laufen irgendwie leichter wurde. Ein Läufer machte mich aber drauf aufmerksam und ich drehte gleich um und lief gegen das Läuferfeld. Zum Glück hatte ein Läufer sie aufgesammelt und drückte sie mir in die Hand. Ich hielt an und befestigte sie aufs neue und rannte hinter meiner Gruppe her. Meine Pace lag hier bei 4:40 und 3:44 auf dem nächsten Kilometer.

Als ich in der Gruppe ankam konnte ich in beim vorbeilaufen in die Gesichter schauen und sah, das einige etwas unsicher waren, ob das Tempo für sie zu schnell ist. Die Gruppe war auch am Ende etwas gesprengt. Ich entschied mich, die Gruppe zu teilen. Ich reihte mich knapp hinter meine Pacerkollegen ein und wurde dann ein Hauch langsamer. Jeder Läufer*in hat nun selbst die Entscheidung gehabt, entweder vorne bei meinen beiden Kollegen mitzulaufen oder etwas langsamer bei mir.
So teilte sich unsere Gruppen in ca. 20 Läufer vor uns und ca. 30 Läufer und 1 Läuferin bei mir. Ich wurde gefragt, ob wir jetzt etwas langsamer laufen und ich stimmte zu. Die Gruppe war damit sehr zufrieden und ein paar Läufer von hinten konnten wieder aufschließen.
Das Tempo reduzierte sich auf den nächsten 10km auf eine 4:15 pace, was perfekt war. Ich unterhielt mich Sebastian Schmidt über Trails, ZUT und über Frank Wagner, den er sehr bewunderte. Ebenfalls das er in Frankfurt letzten Jahres bei 27°C versucht hat unter 3h zu laufen, nur verließ der Pacemaker nach 15km entkräftet das Rennen und er hat keine Uhr, so ist es damals nichts geworden. Er fragte mich, ob er es diesmal packt. Ich antworte "ja, da bin ich mir 100% sicher, wer noch so quatschen kann und bei Kilometer 18 nicht atmet, kommt sicher durch."

Joachim stellte mir die selbe Frage. Hier war ich mir nicht 100% sicher, mir war nur eins klar, dass es da ein Münzwurf ist, ob ja oder nein. Meine Antwort war aber „ja du packst das!“ um ihm nicht zu verunsichern.
Ebenfalls in der Gruppe ein 59 jähriger namens Carsten, der erst seit ein paar Jahren läuft. Er fühlte sich die Tage schon kränklich, aber wollte es probieren unter 3 Stunden zu bleiben.
Unsere Gruppe lief den Halbmarathon in 1:29:28std. Meine beiden Kollegen waren mit den fixen Läufern in 1:28:38 beim Halben.
Ich muss sagen, dass ich eine sehr homogene Truppe hatte. Sie klatschten Kinder ab, Musiker am Rand wurde der Daumen gezeigt oder als wir eine Handbikerin überholte, zollte fast die ganze Gruppe Respekt. Ich war tatsache stolz auf diese Truppe und musste meine eigenen Emotionen etwas herunterdrücken, weil ich sonst zu schnell geworden wäre.
Ich versuchte das Tempo so zu halten, dass alle immer mitkommen, wir aber im Zeitfenster blieben. An Getränkestationen rief ich zu, das sie kommt und auf welcher Seite sie ist. Danach reduzierte ich immer etwas das Tempo, so dass die Gruppe sich wieder zusammenfand.
Nur wenige fielen ab, darunter auch leider die einzige Frau, so waren noch knapp über 20 Läufer bei mir.
Bei einer Rückenwindpassage rief ich in die Gruppe „wir haben Rückenwind, versucht euch die nächsten 2km etwas zu entspannen". Die Antwort eines Läufern „das versuche ich schon die ganze Zeit“ 😄
Ab Kilometer 32 kreuzten sich die Halbmarathon und die Marathonstrecke. Uns überholten die halbe ASG Teuteburgerwald um David Smyrek herum, ebenfalls Chris Lemke, denn ich seit einer Ewigkeit nicht gesehen habe und auch Rene Jäger und und und. Ich möchte gar nicht wissen, was die Läufer in meiner Gruppe gedacht haben, dass ich hier jeden kenne 🤣

Kleiner Anstieg, ich nahm das Tempo leicht raus, danach kommen wir zu dem für mich kuriosten Teils der Strecke. Eine Wohnsiedlung, nicht hübsch und viele Kneipen, aber glaubt mal wo jedes Jahr die geilste Stimmung ist. Hier stehen die Leute mit ihrem Bier vor den Trinkhallen und feuern die Läufer*innen an. Durchgehende Menschen und glückliche Gesichtern, obwohl gefühlt das letzte ist was die Zuschauern selben machen wollten, Laufen!
Kilometern 34, ich wartete auf ein ruhigen Streckenabschnitt, drehte mich um und sagte zu meiner Gruppe „jetzt kommt der Moment wofür ihr monatelang trainiert habt, ihr müsst jetzt beißen, gebt nicht auf, wir sind bald im Stall.
Ich spürte eine riesen Motivation, alle waren bereit dafür. Wir überholten ein Paar Läufer, ich sagte ihnen reiht euch hinten ein und nehmt den Windschatten der Gruppe, dass spart Energie.
Immer wieder wurde ich gefragt auf welcher Zielzeit wir sind. Ich sagte „wir haben eine Minute Puffer, das packt ihr, einfacher hinterer.
Immer wieder motivierte ich die Läufer durchzuhaltenls. Als Antwort kam dann des öfteren "beste Pacemaker, oder du machst auch ein tollen Job“. Meine Antwort, seit ruhig, wir können im Ziel noch genug Lobpreisen, jetzt heißt es nur laufen.
Kilometer 40, ich wurde von Sebastian gefragt, ob er schneller laufen soll. Meine Antwort „ich hätte dich eh jetzt weggeschickt“. Ich war mir sicher, alle die jetzt noch bei mir waren werden es zu 100% schaffen.
Ich wurde langsamer und lief zu den Läufern die schon abgefallen waren, ich motivierte sie einzeln weiterzumachen. Ab jetzt lief ich im Feld hin und her und versuchte jedes Schäfchen was noch die kleinste Chance hatte unter 3h zu kommen zum kämpfen zu bewegen.
Das sah bestimmt lustig aus, wie der Typ da mir der Fahne herumschrie und hin und her lief.
Auf den letzten Meter haben meine beiden Pacemakerkollegen das Tempo reduziert um auf mich zu warten, so dass wir zusammen in 2:59:00 ins Ziel laufen. Ich drehte mich gleich um und feuerte die letzten 9 Läufer an, die knapp hinter mir waren. Alle haben es gepackt.
Im Ziel bedankten sich so viele bei mir ohne diese Unterstützung hätten sie es nicht geschafft. Meine Antwort, "ihr seit es gelaufen, ich habe nur etwas Kohlen ins Feuer geworfen😉"


Ich muss zugeben, dass ich im ersten Moment mit unserem Pacemakerteam nicht zufrieden war, weil zu schnell gelaufen wurde. Im Nachhinein fand ich die Trennung aber super. Die schnelleren konnten so eine Zeit um die 2:56-2:57 aufstellen und mussten nicht alleine auf Jagd gehen. Die, die etwas auf der Kippe waren, habe ich übernommen. So haben wir insgesamt über 45 Läufer zwischen 2:56-2:59:59 gehalten.
Alle haben es leider nicht geschafft, der erste Läufer kam übrigens mit 32s und der übernächste mit 1:17 nach der 3h Marke, aber ich denke wir haben viele zu ihrem Ziel bekommen, auch wenn wir am Anfang etwas zu schnell waren.

Übrigens Sebastian, Joachim und auch Carsten haben es geschafft. Der letztere wurde sogar 1. in der AK55! Selbst einige Läufer, die wir bei Kilometer 35 aufgesammelt haben, konnten ihr Ziel durch die Gruppedynamik erreichen.

Jetzt zum Anfang des Textes. Ich würde die Pacemaker neu einteilen und zwar nicht das 3 auf die selbe Zeit unterwegs sind, sondern alle auf 5 Minuten aufteilen. 3:00/3:05/3:10/3:15… hier können sich größere Gruppen bilden und man muss nicht alleine laufen. Zudem, wenn man aus einer herausfallen würde, könnte man sich der nächsten anschließen und den Windschatten mitnehmen. Ich denke, so würden viele Läufer*innen eine viel bessere Zeit laufen.

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